Dienstag, 15. März 2011

Kleine Dinge im weiten Westen

Viel zu lange schon liegt Rockstars Prachtwerk "Red Dead Redemption" in meinem Regal. Nachdem ich mich dazu aufgerafft habe, es ausgiebig zu spielen, hat mich die Begeisterung schon kurze Zeit später mit dem Lasso eingefangen.

Ein paar Missionen hatte ich schon erledigt und dementsprechend wurde ich schon mit den McFarlanes, dem Örtchen Armadillo und dem Treiben in der Prärie des Jahres 1912 vertraut gemacht. Es ist der typische Einstieg in solch ein weitläufiges Abenteuer: überall tun sich Möglichkeiten auf, jedes Detail erhascht meine Aufmerksamkeit und allerlei Schabernack wird betrieben, wie z.B. das Schießen von Karnickeln und Wildvögeln. Das alles hat sehr gefallen, dann kamen gut 3 Monate Spielpause. Wenige Tastendrücke später bin ich nun bereit, weitere Missionen zu wagen und die Geschichte hinter John Marston voranzutreiben. Doch "Red Dead 2" wäre kein Open-World-Game, kein "GTA im Wilden Westen", wenn nicht immer etwas dazwischen kommen würde. Was in Liberty City raufende Passanten und besenkte Autofahrer sind, sind in der Landschaft von "Red Dead" die vielen Kleinigkeiten.
Ich entdecke ein neues Symbol auf der Karte und meine Neugier zwingt mich dazu, den Entdecker raushängen zu lassen. Hinter der kleinen Hütte, die meine erste Unterkunft auf der Ranch darstellt, kann ich Hufeisen werfen. Ich will eigentlich nur mal kurz "gucken" (wie das ja immer der Fall ist) und verdrücke mich so doof, dass ich plötzlich um einen Dollar spiele. Kein Ding? Ich stehe am Anfang, habe nur 16 Mücken in der Tasche und bin gewillt, mich nicht abziehen zu lassen. Gut 20 Minuten dauert die Partie, die mit einem gewaltigen Vorsprung für den Kontrahenten beginnt. Das Hufeisen wendet sich, als ich die Steuerung verinnerlicht hab, doch am Ende stehe ich als Verlierer da, der das Eisen nicht einmal ins Sandbett buxieren konnte. Schlecht für mich und trotzdem kommt in diesem Minispiel mehr Spannung auf, als in ganzen Levels der Konkurrenz. Mal wedelt etwas Sand vorbei, dann ertönt seichte musikalische Untermalung - während im Hintergrund ein Sonnenaufgang die Nacht zum Tag macht.

Kurze Zeit später kennt der Himmel nur noch gussartigen Sturzregen und Blitze, die Herde ist kurz davor, in alle Windesrichtungen zu eilen, also sattele ich auf und unterstütze die McFarlanes beim Viehtreiben. Als ich alle im Sicheren sehe, fängt ein Baum nach einem Blitzeinschlag Feuer, die Kuhherde flieht, rennt auf eine Klippe zu. Ich gebe dem Pferd die Sporen und bin zutiefst betroffen, als doch 5 Kühe die Klippe hinuntersegeln. Den Rest geleite ich sicher zurück in die gezäunte Sicherheit.
Als ich also vom Ritt zurückkehre, peitsche ich mit solch einer Geschwindigkeit auf die Ranch, dass ich einen ausgewachsenen Hund überfahre, pardon, überreite. Das war schon ein bisschen "wow". Losgelassen hat mich die Situation nicht, der Hund tat mir schon Leid. Ihm blieb nichts übrig, außer mein Vorrat an Tierhaut und Fleisch zu werden. Ich bedauere seinen Tod so sehr, weil ich selbst einen ähnlichen Verlust in den ersten Momenten des Spiels erlebt habe. Nach einer Mission wandte ich mich vom ebenen Weg der Wildnis ab, ritt querfeldein und bemerkte nicht, wie ich plötzlich eine Klippe hinunterstürzte. Ich überlebe, immerhin regeneriert sich meine Gesundheit, doch mein Gaul hat es nicht geschafft. "Lucky", wie ich den weißen Schimmel gerade getauft hatte, verendet zwischen den rotbraunen Klippen und auch ihm bleibt am Ende nur das gleiche Schicksal wie dem Hund. Das war echte Trauer, denn das war mein Pferd, von Anfang an, ich habe es zugeritten und trainiert, sein Ausdauerbalken war schon weit fortgeschritten, ebenso wie mein Vertrauen in diesen treuen Begleiter. In "GTA" sind Fahrzeuge beliebig und ersetzbar, nicht so in "Red Dead Redemption", wo der Gaul auf Reisen meine einzige verlässliche Begleitung ist. Die GEE hat das in ihrem Bericht so unfassbar gut getroffen: "Ein einzelnes Pferd ist mehr Wert als schicken Autos von Liberty City." Wie wahr.

Kurze Zeit später habe ich ein neues Pferd. Nicht Lucky, aber auch eines, dass mir treu sein wird. Ich kehre gerade nach Armadillo zurück, nachdem ich mit dem Sheriff einen stadtbekannten Gauner und seine Halunken aus dem Weg geräumt habe. Freilich gebührt mir Ehre und Gold für diese Tat. Ein kurzes Schländern durch die Ortschaft, dann fallen mir ein paar Männer auf, die 5-Finger-Fillet spielen, sozusagen russisches Roulette mit der Hand. Mit einem Messer sticht man schnellstmöglich zwischen den Fingern umher, um die Zeit des Gegenüber zu unterbieten. Hier bin ich mutiger, werfe sogleich freiwillig den ersten Groschen in die Runde. Und steche mir ins eigene Fleisch. Die grafische Darstellung trägt seinen Teil dazu bei, dass ich mich sehr ärgere. Doch mir stehen noch Versuche offen und tatsächlich ziehe ich den ersten Kontrahenten ab, auch den zweiten. Der dritte übertrumpft mein Können. Das Geld habe ich ohnehin nicht mehr nötig, die Bösen führen viel zu viel davon in ihren Hosentaschen herum.

Eigentlich will ich gerade aufsatteln, als mir ein Fahndungsplakat ins Auge fällt. 20 Mäuse für einen Lebenden, 10 Dollar für den bloßen Körper. Der Wille ist da, jetzt eine große Tat zu vollbringen, ich mache mich auf den Weg und finde den Schuft alsbald in einer heruntergekommenen Bude. Seine Gehilfen schlucken Blei, er kann fliehen und rennt den Railway entlang. Lucky 2 und ich hinterher, bis ich in Reichweite das Lasso anwähle und gekonnt vom Pferd aus aushole. Treffer und versenkt, wie ein geschnürtes Päckchen wird der Mann aufgeladen. Mittlerweile macht sich Dunkel breit und auf dem Rückweg in die Stadt greifen mich stetig neue Handlanger an. Einer nach dem anderen wird spektakulär aus dem Sattel geschossen. Back in town bin ich ein für damalige Verhältnisse reicher Mann, mit mehr als 150 Dollars in der Tasche. Nur eine Nebenmission und trotzdem unterhält sie wie ein Endgegner.

Überhaupt tritt ständig dieses Gefühl ein, vor dem nächsten Abspeichern nur noch eine Sache erledigen zu müssen. Einmal höre ich mitten in der Steppe Schüsse und Schreie und mache kurze Zeit später einen geplünderten Reisenden aus, schalte die Schurken aus und lasse ihn weiterziehen. Ein andermal bittet mich ein Fremder um Hilfe, man wolle seinen Freund aufknöpfen, er sei unschuldig. Der Ritt zum Ort des Geschehens ist ein kurzer, doch im Trubel verfehlen meine Schüsse ihr Ziel. Statt den Baumelnden zu befreien, erschieße ich ihn gleich mit. Seit Freund trauert auf den Knien. Er tut mir so Leid, dass ich ihn auch erschieße und schnell weiterziehe. Kaum zurück in der Stadt, kommt eine Frau auf mich zu, ich solle ihren Sohn finden. Kein Problem, M'ame, aber erst muss ich speichern und die Konsole runterfahren.

Das war vielleicht eine Stunde Spielzeit und sie hat mich so unterhalten, wie es nicht viele Spiele schaffen. Die eigentliche Geschichte hat pausiert, während ich meine eigene Story geschrieben habe. Die vom hilfsbereiten Helden, der meine, also auch seine, moralischen Grundzüge verfolgt. Wo "Far Cry 2" schon nach 10 Minuten nur noch nervt und frustriert, gelingt es Rockstar Games, durch die kleinen Feinheiten und Detailverliebtheit mich an das Spiel und seine Charaktere zu binden. So fest, dass ich mich ganz klar als Charakter in einer lebendigen Welt fühle. Das ist die typische Handschrift. Getragen wird alles von einer malerischen Optik und traumhaften Western-Musik. Ich kann es kaum abwarten, mich durch neue Erlebnisse weiter herumführen zu lassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen