Mittwoch, 2. Dezember 2009

Live in concert

Mehrere tausend Leute schwitzen, schreien und schlagen sich mit ihren Ellenbogen grün und blau - so sieht nicht etwa der heißeste Tag des Sommers 2010 aus, sondern mein erstes waschechtes Rock-Konzert.


Es war der 8. November und mein Kreislauf hatte sich noch nicht wirklich von 5 Stunden Schlaf und den täglichen Fast Food-Portionen in Weimar erholt, da musste er sich schon der nächsten Strapaze stellen: Die Arctic Monkeys in der Arena Berlin.
Schon fast die Anfahrt hätte uns den ganzen Tag versauen können, denn Markus kam nicht nur 15 Minuten zu spät (es war natürlich die Baustelle...), in Frankfurt wollte sich uns partout kein Parkplatz anbieten. Also dreimal im Kreis gefahren, fünfmal abgebogen, gewendet in 2 Zügen und schließlich fand sich ein netter Platz im Parkhaus. Dass draußen 5 Parktaschen nur theoretisch erreichbar waren, lag an den polnischen Kollegas, die sich immer schräg auf 2 Plätze stellten. Was soll man machen? Die wurden gegen die StVO geimpft. Natürlich sahen mehrere Leute von Weitem die freien Plätze, also folgten sie uns sogleich und verstopften den kleinen Parkplatz. Umzingelt von Hecken und Sträuchern standen wir da, verloren immer mehr Zeit und erwischten den Zug schließlich 1 Minute vor Abfahrt. Puls? Zumindest bei mir über 200.
Für den Zeitmangel gab es dann schließlich aber noch (einen völlig irrelevanten) Grund: ich musste zurückrennen und schauen, ob das Auto wirklich abgeschlossen war.

Im Zug ging das Kribbeln in der Magengegend weiter. Alle 5 Minuten holte ich den Fahrplan aus der Tasche und studierte akribisch die Abfahrtszeiten samt Linien-Nummer. Immer und immer wieder, bis mir bewusst wurde, dass sich eine schlimme Neurose daraus entwickeln könnte, sollte ich nicht auf der Stelle damit aufhören. Ich hab nicht auf mich gehört, konnte aber einen dicken Sieg verbuchen - 90 Minuten vor Einlass-Beginn standen wir vor den Security-Schränken der Arena Berlin. Genug Zeit für eine leckere Bratwurst (2,50 € und dann noch mit Toast statt Brötchen!!) und ausreichend Zeit zum Freuen. Dabei hätte es auch anders laufen können. Hier der ungefähre Dialog, nachdem wir am Treptower Park ausgestiegen sind:

Markus: Wo lang jetzt?
Ich: Da ist das Schild, sind noch 900 Meter bis zur Arena. Also in die Richtung...
(wir laufen... und laufen)

Ich: Denkt ihr, es gibt so kranke Leute, die den Richtungspfeil umdrehen, um möglichst viele Arctic Monkeys-Fans in die falsche Richtung zu lotsen?
Theo: So krank ist doch niemand... wenn überhaupt, würde ich dir das zutrauen.
Ich: Ok.
(wir laufen)

Markus: Warum kommt hier kein Schild mehr?
Ich: Lass mal da drüben in der Studenten-Bar nachfragen. Wer fragt?
Theo: Du, wer sonst?
(wir laufen über die Straße)
Ich: N'abend, könnten Sie uns sagen, wie wir zur Arena kommen? Wir laufen schon 'ne ganze Weile.
Er: Tja Jungs, da seid ihr in die falsche Richtung gelaufen, immer da hinten lang...

Und es gibt doch so kranke Leute! Also den ganzen Weg zurück, bis wir ja schließlich überpünktlich unser Ziel erreicht haben. Auf einmal kommen immer wieder Polizei-Autos vorbeigefahren, obwohl bei 20 Leuten (80 Prozent weiblich) keine aggressive Massenhysterie droht. Kein Wunder, für diesen Abend war irgendwo in Berlin ein großes Neonazi-Konzert geplant. Die Polizei hatte wohl erkannt, dass die einzigen Bomberjacken den Türstehern gehörten und wir alle noch recht viele Haare auf dem Kopf hatten, und zog weiter. Derweil wurde es immer kälter und die Türsteher machten Stress. Ein Hüne groß wie Valuev, der aber nicht auf den Zuruf Nikolai hören wollte, breitete nur seine Arme mit einer Spannweite von 2 Cindy-aus-Marzahn aus, kommt auf uns zu und drückt alle mit minimalem Krafteinsatz nach hinten. Was für ein Tier.
Irgendwann lässt man uns vorzeitig rein. Auch meine erste Leibesvisitation blieb mir nicht erspart, verdächtig oft hat der Typ zugegrabscht. Meine Flasche bleibt draußen, widerwillig wird mir ein letzter Schluck genehmigt, aber die Packung Kekse darf ich mit rein nehmen. Dabei hätte ich doch ein Attentat verüben können - "Arctic Monkeys-Konzert: Tot durch Keks-Bombe" hätte die Bild am nächsten Morgen schreiben können.

Drinnen angekommen hat mich erstmal die Größe der Halle beeindruckt. Ich hätte nie gedacht, dass 2 Stunden später ales bis in die letzte Ecke mit Menschen ausgefüllt wäre. Am Merchandise-Stand gab's natürlich Shirts (ein Muss auf einem Konzert) und nebenan wurden graue, aufklebbare Schnauzbärte im Lemmy-Stil verkauft. Nicht für die Monkeys, sondern für die Vorgruppe: Eagles of Death Metal. Die waren kein absoluter Grund, nach Berlin zu fahren, aber gespannt waren wir allemal. In der vierten Reihe platzierten wir uns und warteten wieder einmal, bis es losging. Dann wird's Dunkel und die Vorband hat ihren großen Auftritt. Und diese Typen waren steinalt! Der eine hatte 'nen grauen Vollbart, der andere 'nen Bierbauch und der Schlagzeuger sah auch aus wie Charles Manson. Was zu Beginn zögerlich begann, endete schließlich in einem Pogo-Inferno. Ausgehend von einer Gruppe Typen in der Mitte, breitete es sich wie die Schweinegrippe aus und alle gingen einfach ab. Neben uns fasst sich ein Mädchen in die Hose, zieht ihren Slip aus, schmeißt ihn auf die Bühne und Frontmann Jesse nimmt einen tiefen Zug. "Only want you", "Wannabe in LA", "I want you so hard" und "Cherry Cola" haben gerockt! Klasse Performence, Jungs.


Dann wieder warten. Neben uns ein 9-jähriger Junge, der verzweifelt nach seinen Geschwistern gesucht hat. Ich weiß nicht, ob der Kleine die folgenden Momente überlebt hat, aber ich sage an dieser Stelle schon mal: rest in piece (Wer schleppt ein Kind da hin?!). Irgendwann wird der Vorhang aufgezogen, die ganze Bühne ist in Nebel gehüllt und nur vereinzelte Lichtstrahlen dringen durch den Dunst - ein fantastischer Auftakt für "Dance little liar". Es folgen Songs vom neuen Album "Humbug", aber natürlich auch Klassiker. Während ich noch wie eingelullt in Trance war, brach in den vorderen Reihen die Hölle los. "I bet you look good on the dancefloor", "View from the afternoon" und "Brianstorm" entfesselten eine Apokalypse, wie ich es niemals erwartet hätte. Die Luft ist dick, ich hechel nur noch, schnappe nach Luft, weil mir der Brustkorb eingedrückt wird, bekomme Schläge ab, teile mit vollem Körpereinsatz selbst aus, springe wild herum, schreie, halte mich an Theo und Markus fest, werde zerquetscht und kollabiere fast, als mir leicht schwarz vor Augen wird. Dazu noch die geilen Songs der Arctic Monkeys... Yeah.
Irgendwann hielten wir es nicht mehr aus und mussten nach hinten flüchten, während die Security regelmäßig zierliche Mädchen aus den erste Reihen zieht, die einen Schwächeanfall erlitten (neben uns gab es auch immer wieder erschrockende und verstörte Gesichter zu sehen; auch für euch gilt: rest in piece). Weiter hinten war genug Zeit zum Genießen der großen Leinwände, der Gitarrensoli, der Lightshow und natürlich der Songs. Mir wurde es aber zu ruhig, ich brauchte wieder den Kick. Dann seh ich den Circle of Death - Typen rennen im Kreis bilden eine Lücke und pogen bis zum geht-nicht-mehr. Da musste ich einmal dabei sein. Am nächsten Tag wurde mir aus Sicht von Theo und Markus erzählt:


(ich laufe vor)
Markus: Scheiße, wir haben ihn verloren! Siehst du ihn irgendwo?
Theo: Nein, verdammt!
(beide gucken nach vorn)
Theo: OMG, guck dir den Verrückten an!
(ich springe in die Mitte des Kreies...)

Was für ein Rausch. Alle Kerle waren irgendwie schon oberkörperfrei, mein Pullover war verschwitzt, aber ich hatte Spaß. Viel Spaß. Es war so genial.
Später waren alle guten Songs verbraten, es gab eine Zugabe, doch trotz Durst und Schwindelanfällen war ich einfach nur zufrieden. Ich hätte allerdings nie erwartet, dass die Bambule an der Garderobe ihre Fortsetzung findet. Fast jeder rennt zur Garderobe am Eingang (wir hätten nicht gleich die Erstbeste nehmen sollen, d'oh!). Auf einmal wird es enger als vor der Bühne, ich kann meine Arme nicht mehr bewegen, werde nur noch gegen Ärsche, Oberkörper und Oberweiten geschoben, bis ich endlich an der Reihe bin. Die Leute schreien teilweise schon vor Schmerz, doch nach dem erfolgreichen Gerangel wartet Markus mit eine eiskalten Cola. Die geht runter wie nix!
Wir treten völlig begeistert die Heimreise an, machen uns auf den Weg zum Bahnhof und merken, dass wir ziemlich unter Zeitdruck stehen. Auf einmal rennt Markus, er kannte scheinbar den Weg und hatte einen Orientierungssinn wie ein Navigationssystem, dann blieb er wieder stehen. Theo und ich wollen die Verschnaufpause zum Pinkeln nutzen, doch Markus sprintet wieder los. Ich reiße Theo noch mit, dessen Hose noch nicht mal zugeknöpft war, doch am Ende stellen wir am Bahnhof fest, dass der Zug vor 2 Minuten abgefahren ist. Aua, Seitenstechen. Wir gönnen uns eine Auszeit und suchen einen Döner-Stand. Man mag es kaum glauben, aber nachts um 12 haben die Döner-Läden in Berlin alle noch auf. Leider ist kein Fleisch mehr auf dem Spieß, Markus und Theo bekommen halbrohes Dönermaterial, ich hingegen spare einen Euro mit meinem (leckeren) vegetarischen Döner.
Bis nach Hause waren es noch 2 Stunden. Wir mussten noch umsteigen, hatten Schienenersatzverkehr, fanden glücklicherweise gleich unseren Bus, froren etwas am Bahnhof und befanden uns schließlich auf dem Rückweg nach Frankfurt. Immer wieder fielen die Augen zu, aber zurück daheim waren wir immer noch ein wenig adrenalisiert. Kaum in meinem Bett, muss ich mit der Hand zur Pommesgabel eingeschlafen sein... Nach 5 Stunden saß ich schon wieder in der Schule, natürlich mit dem Arctic Monkeys-Shirt.

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