Montag, 27. Dezember 2010

Selbstbedienung versteht sich von selbst


"Besorg's dir doch einfach!" Was Real eine Zeit lang als frechen Marketing-Spruch verwendet hat, hat sich scheinbar so fest in die Köpfe einiger Leute eingebrannt, dass man nun von "Dreist ist geil" sprechen muss.



Wenn man als Kunde irgendwann wieder einmal feststellen muss, dass im Supermarkt alle Regalpositionen neu ausgewürfelt wurden, fragt man sich natürlich, ob das Feng Shui für Lebensmittel von essenzieller Notwendigkeit ist. Doch zum Glück weiß der Einzelhandel, wie er uns den unfreiwilligen Spießrutenlauf einigermaßen versüßen kann: mit kostenlosen, gratis Kostproben, die auch noch umsonst sind. Im Elektrofachhandel strapaziert man die herumstehenden Soundsysteme, hört vorab in neue CDs rein und spielt vielleicht auch nebenbei noch ein spaßiges Videospiel. Nicht nur gucken, sondern auch anfassen ist erlaubt, was natürlich dazu führt, dass man gern ein Weilchen länger verweilt und sich auch den ein oder anderen Euro aus der Tasche ziehen lässt. Probieren geht über studieren und verringert (teilweise) die Chance eines Fehlkaufs. Im Supermarkt darf man auch ordentlich ran. Obst und Gemüse kann man nach Herzenslust begrabbeln und ab und zu springt sogar eine Traube oder Erdbeere im hohen Bogen in den Mund. Mundraub ist das natürlich nicht, die Früchte wollen es ja so! Viel besser sind kleine Stände, an denen Leckerlies als Appetitanreger bereitliegen. Kleine Würstchen- und Käsehappen und auch einen Schluck der leckeren neuen Limonade XY lässt sich da abstauben.

Eine Ecke schärfer wird es, wenn man dieses Prinzip der Selbstbedienung falsch versteht. So wie ein älterer Mann, den ich vor einer Weile im Real beobachten durfte. Da steht dieser große Aufsteller von Bosch, der den neuen Elektrorasierer bewirbt und so einige Blick auf sich zieht. Ein Interessent nimmt das Ausstellungsstück natürlich auch mal in die Hand, soll ja bequem in den Griffeln liegen. Man kann auch ruhig ein paar surrende Brumm-Geräusche von sich geben, um sich exakt vorzustellen, wie man mit dem Rasierer vorm eigenen Spiegel steht und sich auf Vordermann bringt. Toll ist's dann, wenn der Rasierer sogar angeschlossen ist und selbst Geräusche macht. Was man jedoch nicht darf, ist, sich mit genau diesem Rasierer im Real, zwischen anderen Kunden und Regalen, wirklich zu rasieren! Als ob er im Real heimisch wäre, nimmt der Mann das Teil in die Hand, beäugt es kritisch und fängt an, sich seine grauen Stoppeln zu entfernen. Ohne Scheiß, bei so viel Dreistigkeit sind mir fast die Augen herausgefallen. Ich konnte nicht einmal weggucken und hatte sogar das Bedürfnis einzugreifen, aber ich war paralysiert. Was denkt der nächste Kunde, wenn er den Rasierer begutachtet? "Oh, ist schon gebraucht. Den hat Real wohl bei Ebay gekauft." Man geht doch auch nicht im Praktiker in die Keramikabteilung, um sein Geschäft zu verrichten, danach unter die Dusche nebenan und dann splitterfasernackt ins Real, um sich ein Handtuch umzuhängen, während man unterwegs noch eine Schachtel Zigaretten beim Kiosk raucht; nur, weil man sich bei dieser dudelnden Musik im Einkaufszentrum heimisch fühlt! Mit diesem Verhalten schießt man echt mehr Vögel als ein Jäger ab. Nachdem ich früh aus dem Haus gehe, sprüh ich mich vielleicht auch noch mit Deo bei Edeka ein. Es steht immerhin so rum und wartet darauf, benutzt zu werden... Na klar, die ganze Welt ist ein riesiger Selbstbedienungsladen. Ich meine - man kann es auch übertreiben.

Wenn ich Hunger auf einen Döner hab, geh ich am Dönermann vorbei und beiß einmal in den Fleischspieß hinein. Wenn ich Arznei brauche, schleiche ich mich in ein abgeschlossenes Zimmer der Apotheke. Und wenn ich operiert werden soll, greif ich am besten von der Trage zum Skalpelltisch und ramm mir die spitzen Werkzeuge selbst in den Körper. Ich kann verstehen, dass man bei Douglas einen Spritzer Parfüm auf dem Handgelenk abzwackt und sich einen Tag lang über den Duft freut, aber muss man wie der dreiste Greis einen Schritt über die Linie der Vernunft hinweg machen? Ich traue mich nicht einmal, eine Traube im Supermarkt zu naschen, wenn ich sie nicht vorher gewogen habe und kaufen möchte. Leute gibt's...

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